Wiederentdeckung einer fulminanten Opera buffa: Giuseppe ScarlattisOper „I Portentosi Effetti de la Madre Natura“ als Weltersteinspielung bei Sony dhm
Friedrich der Große hatte die seinerzeit in ganz Europa erfolgreich gespielte Oper „I Portentosi Effetti della madre Natura“ des Neapolitaners Giuseppe Scarlatti - mutmaßlich ein Enkel Alessandro Scarlattis - zunächst nach Berlin in sein Opernhaus Unter den Linden geholt und ließ sie 1768 in seinem nagelneuen Schlosstheater des Neuen Palais gleich wiederaufnehmen. Am selben Ort erlebte das Werk als Produktion der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci 2022 dank der Forschungsarbeit und kritischen Edition des römischen Musikwissenschaftlers Francesco Russo mit dem Ensemble 1700 unter der künstlerischen Leitung von Dorothee Oberlinger seine Wiederauferstehung. Der Mitschnitt der international hochgelobten Produktion unter Regie des französischen Filmregisseurs Emmanuel Mouret erscheint nun als Weltersteinspielung am 9. Juni bei deutsche harmonia mundi.
Das hochkarätige Libretto Carlo Goldonis beschäftigt sich mit der Natur des Menschen im Spannungsfeld gesellschaftlicher Konventionen, ähnlich dem Gedankenexperiment in Jean-Jaques Rousseaus Roman „Émile“. Goldoni steigt mit einer Art Kaspar-Hauser-Geschichte ein: Aus totaler Isolation stolpert der rechtmäßige, seit seiner Kindheit gefangen gehaltene König von Mallorca Celidoro plötzlich in die Freiheit. Alles ist ihm neu: Die Welt, die Menschen, die verwirrende Gegenwart der Frauen, und ständig kollidieren seine Naturinstinkte mit rätselhaften Regeln. Wie er durchs Dickicht der Macht- und Liebesspiele seinen Platz in der Gesellschaft findet, führt die 1752 in Venedig uraufgeführte leichtfüßige Oper aufs Amüsanteste vor.
Rupert Charlesworth (Celidoro) in der Hauptrolle, Filippo Mineccia (Ruggiero) und Roberta Mameli (Lisaura), Shooting-Stars Benedetta Mazzucato (Cetronella), Maria Ladurner (Ruspolina), Niccolò Porcedda (Poponcino) und Dana Marbach (Dorina) sowie Buffo- Bass João Fernandes (Calimone) versprühen komödiantischen Esprit, melodischen Schmelz, Koloraturgeglitzer, zelebrieren lebhafte Ensembleszenen und große Chortableaus.
Über die aktuellste Opern-Wiederentdeckung von Dorothee Oberlinger und dem Ensemble 1700 schreibt Guy Engels auf Pizzicato.lu:
"Crash-Kurs im Menschwerden für Celidoro, den seit seiner Kindheit eingekerkerten König von Mallorca, der nun plötzlich seine Freiheit erlangt. Aber was anfangen mit dieser Freiheit? Wie zurechtkommen in der Welt – zudem noch als geborener Herrscher?
Giuseppe Scarlatti schildert diesen Schnellprozess in seiner musikalischen Komödie mit wunderbarer Leichtigkeit, mit feinem Humor und vielen schönen Melodien. Dank der unermüdlichen musikalischen Neugier von Dorothee Oberlinger und ihrem Team der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci wurde dieses köstliche Werk 250 Jahre nach seiner Erstaufführung wieder auf die Bühne gebracht und zudem eingespielt. Es ist ein mehr als lohnendes Unterfangen, eine Interpretation, die von der ersten Note an mitreißDorothee Oberlinger und ihr gesamtes Ensemble haben hörbar Spaß an dieser Partitur, und der Funke springt umgehend auf den Zuhörer über. Die Musiker spielen und agieren mit Herz, mit unbändiger Fantasie und Spiellaune. Jede Phrase ist ein erfrischender Quell an Klängen. Dabei kommen das Ensemble 1700 und die acht Sänger ganz ohne besondere dramatische Effekte aus. Hie und da eine kleine musikalische Spitze, ein kurzes Zwinkern – ansonsten spiegelt die Musik in ihrem pastoralen Habitus die inhärente Naivität des Protagonisten Celidoro wider, der sich binnen knapp drei Stunden zu einem großmütigen und gerechten Herrscher mausert.
Mit spielerischer Raffinesse hauchen die Sänger ihren Figuren Leben ein, geben den jeweiligen Charakteren und Rollentypen Konturen. Sie sind die Gesichter der wundersamen (portentosi) Werke, die die Natur vollbringt und letztendlich alles zum Guten führt. Mit gewandter Rhetorik, leichtfüßiger und makelloser Stimmführung bilden sie das perfekte Pendant zum ebenso feinfühlig und tänzerisch agierenden Ensemble 1700.
Nicht zu unterschlagen sei auch die exzellente Live-Aufnahme, die in ihrer Räumlichkeit ein sehr plastisches Klangbild schafft."