Oratorium? Oper!

Il Trionfo del Tempo e del Disinganno

1706, gerade einmal 21 Jahre jung, zieht Georg Friedrich Händel gen Italien und findet in dem römischen Kardinal Benedetto Pamphilj einen ebenso reichen wie musikverständigen Förderer. Der Schöngeist betätigt sich auch als Dichter und schreibt für den caro sassone das Libretto zu seinem ersten Oratorium, in dem nichts Geringeres als der Sinn des Lebens verhandelt wird. Anders als die späteren Oratorien verzichtet Il Trionfo del Tempo e del Disinganno gänzlich auf den Chorpart und ist rein solistisch mit allegorischen Figuren besetzt:

Gedanken an die Zukunft trüben den selbstverliebten Blick der Schönheit (Bellezza) in ihren treuen Spiegel. Doch warum sich unnötig mit unbequemen Dingen wie der Vergänglichkeit abgeben? Lieber das Hier und Jetzt genießen, ermuntert das Vergnügen (Piacere), mit dem Bellezza einen Bund schließt. Später, als dieser zerbricht, gesteht Piacere, dass er sich einzig von Inganno – von Täuschung – ernähre: Keine Neuigkeit für Bellezza, denn längst haben sich Disinganno – die Ent-Täuschung im Sinne von Erkenntnis – und Tempo – die Zeit – zusammengetan, um Bellezzas Sehnsucht von flüchtigen auf dauerhaftere Güter, ihren Blick von der Oberfläche auf die Essenz des Daseins zu lenken. Doch der Weg zum Spiegel der Wahrheit ist dornenreich und fortwährenden Verlockungen des Piacere ausgesetzt… Trotz des religiös-allegorischen Konzepts erzählt Pamphilj die Geschichte der Bellezza mit einer psychologischen Wirklichkeitsnähe, die den jungen Händel hörbar beflügelt: Seine Musik mit ihrer leidenschaftlichen Affektivität und gestischen Prägnanz macht aus dem Trionfo ein unmittelbar berührendes, zutiefst menschliches Drama, das wie kaum ein anderes seiner Werke den heutigen Zeitgeist trifft.

"Il Trionfo del Tempo" wird beim Festival Alte Musik Knechsteden 2024 zu erleben sein sowie beim Baroque Opera Festival in Modica.

Solisten: 

Anna  Dennis, Bellezza    
Dennis Orellana, Piacere
Alois Mühlbacher, Disinganno    
Laurence Kilsby, Tempo