Andrea Bernasconi
L’Huomo (Der Mensch, 1754)
Festa teatrale in einem Akt mit weiterer Musik von J.A. Hasse, B. Galuppi, Wilhelmine von Bayreuth u.a.
Libretto von Luigi Stampiglia nach einer französischen Vorlage von Wilhelmine von Bayreuth.
Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, 5.& 6. Mai 2023
Schlosstheater im Neuen Palais, Potsdam, 11.-15. Juni 2023
Ensemble 1700, Ltg. Dorothee Oberlinger
Die Festa Teatrale "L'Huomo" komponierte Andrea Bernasconi auf das eigenhändige Libretto der Wilhelmine von Bayreuth anlässlich eines Besuchs ihres königlichen Bruders Friedrich des Großen 1754 in Bayreuth. Die illustre Wilhelmine lässt Gut und Böse allegorisch aufeinandertreffen, das Gute triumphieren und schleust nebenher ein paar Eigenkompositionen ein. Die Inszenierung in der Regie von Nils Niemann mit Video-Bühnenbild von Christoph Brech ist mit einem neunköpfigen Sängercast sowie Tänzerinnen und Tänzern im Theater im Neuen Palais erstmals szenisch zu erleben. Eine Kooperation mit der Universtät Bayreuth.
Una festa teatrale
Nils Niemann (Regie) & Dorothee Oberlinger (Musikalische Leitung) zu ihren Erfahrungen mit einem unkonventionellen Stück Musiktheater
Nils Niemann: Wilhelmine tritt in dieser Oper ja nur am Rande als Komponistin, sondern vornehmlich als Librettistin in Erscheinung, und zwar mit vielen originellen und detailreich ausgearbeiteten Ideen, was die dramaturgische und visuelle Gestaltung der Oper angeht. Wir wollten und mussten für vieles eine moderne Umsetzung finden – allein schon, weil die Bühnen heute zwar über moderne Technik, aber nicht über die ausgeklügelte mechanische Maschinerie der damaligen Zeit verfügen. Dabei sollte die »Handschrift« Wilhelmines als Autorin des Bühnenwerkes unbedingt erhalten und sichtbar bleiben.
Dorothee Oberlinger: Die französisch-italienische Mischform einer »Festa teatrale« macht diese einaktige Oper schon musikalisch ungemein vielfältig. Neben einigen großen »Arie di bravura« (gleich zu Beginn zieht uns die virtuose Arie des Buon Genio »Soffre talor del vento« mit großen Koloraturen in ihren Bann) wechseln sich tändelnd-liedhafte und lyrische Arien, Cavatinen, große Chöre, dramatische Accompagnati und üppig besetzte instrumentale Märsche ab. Im Wechselspiel mit den eingefügten und rekonstruierten Balli aus C.H. Grauns OperArmida zeigt sich ein buntes Tableau des »gout melé«, des damals modernen »vermischten Geschmacks«.
Nils Niemann: Für die überraschende, manchmal fast filmisch schnelle Folge von Bühnenbildern, wie sie gerade diese freie Form erfordert, eignet sich die Videotechnik natürlich hervorragend. Die Bühnenbilder selbst sind im Libretto sehr genau beschrieben und es wird deutlich, dass sie nicht nur die Orte zeigen, wo etwas stattfindet, sondern die Handlung »emblematisch« kommentieren. So stehen etwa ein Felsen und das verunreinigte Wasser, in das sich Anemone hinabwerfen will, für seinen moralischen Sturz und die Korruption seiner Seele an diesem Punkt der Handlung. Christoph Brech hat für jedes Bühnenbild einleitend eigene assoziative Bildkommentare gefunden, die sich mit der Tiefendimension der folgenden Handlung und mit Themen, die nur aus der kosmischen Perspektive des Guten und Bösen Geistes sichtbar sind, auseinandersetzen. Wir gleiten dann jedesmal von dieser Perspektive in die barocke Bilderwelt, wo die Geschichte von Anemone und Animia in einem optisch vertrauten, quasi »irdischen« Rahmen erzählt wird, sehen aber die Bilder mit anderen Augen. So fiel uns zum Beispiel selber auf, wie gut unser Fernrohrblick korrespondiert mit dem Aufbau eines typischen barocken Bühnenbildes in seinem zentralperspektivischen Fokus auf die Unendlichkeit.
Für die ursprünglich sicher üppigen Ballett- und Chorszenen haben wir Entsprechungen gesucht, die nicht nur als dekorativ wahrgenommen werden, sondern dem Wunsch Wilhelmines, im Tanz neue dramaturgische Wege zu gehen, entsprechen. So findet sich in den Auftritten der Tugenden und Laster eine dialektische Spannung zwischen abgezirkelten, dem Geist des Rationalismus entsprechenden Bewegungen und modernen, mehr die Körperlichkeit der Tänzer betonenden Formen, und eine Mischung von Handlungsmomenten und reinem Tanz.
Interessant war es auch, sich auf Wilhelmines Spiel mit allegorischen Elementen einzulassen. Es ging ihr ja nicht zuletzt darum, in ihrer Oper den politisch aktuellen Prozess der Aufklärung darzustellen, in Bilder zu fassen und zum Teil durchaus witzig zu kommentieren. So ist es kein Zufall, dass die feingeistige weibliche Seele auf einer Rasenbank ruht, die männliche –buchstäblich aus gröberem Holz geschnitzte – hingegen auf einem Baumstumpf. Die guten und bösen Kräfte verweisen mit Hilfe von Attributen wie Licht und Spiegelauf die Fähigkeit, klar durchzublicken. Diese Art, mit symbolischen Attributen komplexe Sachverhalte anschaulich zu machen, ist auf dem Theater selten geworden, hat sich aber interessanterweise in der politischen Karikatur bis heute erhalten und ist eigentlich sowohl verständlich als auch vergnüglich.
Die Musik von Bernasconi, die auf dem Papier zunächst vielleicht etwas rokokohaft konventionell wirkte, erwies sichin der genauen gestisch-mimischen Umsetzung im Übrigen als sehr theatralisch und voller überzeugend motivierter und differenzierter Leidenschaften.
Dorothee Oberlinger: Für mich sind bei den Arien viele Ohrwürmer und Juwelen mit dabei. So ist Negioreas große Arie »Ti sembro austera« wie Händels berühmtes »Lascia ch’io pianga« eine große pathetische Sarabande. Möglicherweise kannte Wilhelmine ja Händels Rinaldo, der auch in der Hamburger Oper am Gänsemarkt gespielt wurde. Auch die explosive Wutarie »Deltuo malvagio impegno«, ein weiteres Bravourstück Negioreas, ist mit ihren freien rezitativischen Interludien ungemein wirkungsvoll. Eigenhändig komponierte Wilhelmine zwei kurze Cavatinen, sie fließen im allerhöchsten Register des BuonGenio über dem Streichersatz wie gleißendes Licht. Besonders eindrucksvoll wird der Charakter von Anemone musikalisch gemalt: Seine Arie »Sino al respiro estremo« erinnert an Musik im Geist des Sturm und Drang von Carl Philipp Emmanuel Bach, mit großen Farbwechseln, schnell wechselnder Binnendynamik und riesigen Registersprüngen, die Anemones Zerrissenheit betonen. Die charmante Schmetterlings-Arie der Incosia »Della farfalla infida« wiederum flattert enorm leichtfüßig-galant daher mit ihren vielen fein ziselierten Verzierungen. Ein Fest ganz im Geist des Rokoko und sozusagen das klingende Abbild des Markgräflichen Opernhauses!
Künstler
Philipp Mathmann Anemon
Maria Ladurner Animia
Francesca Benitez Guter Geist
Florian Götz Böser Geist
Alice Lackner Vernunft
Simon Bode Vernünftige Liebe, Flüchtige Liebe
Anna Herbst Wollust
Johanna Rosa Falkinger Unbeständigkeit
Yves Ytier, Hendryk Voß, Thomas Feyerabend, Anastasia Krasnikova, Sophia Otto Tanz
ENSEMBLE 1700
Dorothee Oberlinger Musikalische Leitung
Nils Niemann Regie
Johannes Ritter Bühne & Kostüm
Christoph Brech Video
Olga Watts Musikalische Assistenz